01.07.2019

Die Folgen der Entwurzelung

Ein Junge, dessen Vater Fernfahrer ist, spricht davon, dass er seinen Vater als nicht mehr in der Familie lebend erlebt. Ein Mädchen bezeichnet ihren Vater als Halbvater, mal ist er da und mal weg. Von elf Jugendlichen zwischen 14 und 21 Jahren sagen vier: Vater? Keine Ahnung, meine Eltern sind geschieden. Ich würde ganz gern mal einen richtigen Vater erleben, sagen andere. Mindestens ein Viertel der Kinder und Jugendlichen in Großstädten kann mit dem Begriff Vater kaum noch was anfangen. Eine bekannte Kinderärztin meint dazu: Wir sprechen sehr selbstverständlich von Scheidungskindern. Die auffälligsten von ihnen befinden sich in medizinischer oder therapeutischer Behandlung. Doch ein Trauma haben sie alle.

Jeder trägt in sich das Urbild der Schönheit, deren Abbild er in der großen Welt such.
Blaise Pascal (16231662), französischer Mathematiker, Dichter und Philosoph

Dieses Trauma ist häufig die Entwurzelung mit all ihren Facetten des Schmerzes, der Enttäuschung, des Verlassen- und Ungeliebtseins. Wir leben in einer Zeit, in der der Vater in seinem Sein und Dasein immer mehr aus der Familie verschwindet. Damit verlieren die Familien ihre ursprüngliche Struktur. Kinder fühlen sich physisch und emotional von den Vätern verlassen, die beruflich oft so eingespannt sind, dass sie überhaupt keine Zeit mehr haben. Vielfach gibt es auch Mütter, die ihren Kindern den Vater vorenthalten und damit Beziehungskonflikte auf dem Rücken der Kinder austragen.

Alle Not kommt vom Vergleichen!
Søren Kierkegaard (18131855)

Menschen, die ohne Vater aufwachsen, schweigen zumeist, wenn ihnen die Frage nach dem Vater gestellt wird. Eine Frau erzählt: Es ist für mich schwer, ich bin ohne Vater groß geworden. Ihre Erinnerung der ersten beiden Lebensjahre sind positiv, doch dann starb ihr Vater plötzlich. Ein Vater ist ruhig und beharrlich, sagt sie, jemand der die Fäden in der Hand hat, ein Fels in der Brandung. Dieses Bild drückt die große Sehnsucht nach einem positiven Vaterbild aus, die so viele Menschen haben und die nur so wenigen von ihnen erfüllt wird. Wenn wir uns aber die Zeit nehmen, um bei Gott, unserem Vater im Himmel, Kind zu sein, dann haben wir die Möglichkeit, alle unsere Sehnsüchte zu stillen. Immer, wenn Gott uns etwas von dem gibt, wonach wir uns sehnen, merken wir, wie schön echtes Kindsein bei Gott ist. Leider ist es sehr oft so, dass Menschen das Bild, wie sie als Kind ihren Vater erlebt haben, auf Gott übertragen. Wenn dieses Bild nicht positiv besetzt ist, ist das oft auch ein Problem im Glauben an Gott. Jahrelange Verletzungen, die von den Erfahrungen mit dem leiblichen Vater herrühren, werden auf das Bild vom himmlischen Vater übertragen. Ein junger Bursche, der gerade zum Glauben an Gott gekommen war, sagt: Mein eigener leiblicher Vater war für mich immer unberechenbar. Wenn ich ihm begegnete, wusste ich nie, was auf mich zukam. Ich erlebte ihn freundlich und zugänglich, doch ohne für mich erkennbaren Grund wurde er dann plötzlich sehr verletzend. Ich konnte Gottes Güte mir gegenüber lange nicht annehmen, ohne Angst zu haben, dass er mir gleich weh tun würde.

Wer uns vor nutzlosen Wegen warnt, leistet uns einen ebenso guten Dienst, wie derjenige, der uns den rechten Weg anzeigt.
Heinrich Heine (17971856), deutscher Dichter, Schriftsteller und Zyniker

Immer, nachdem Gott mich besonders beschenkt, erwartete ich, dass etwas Schlimmes folgen wird. Je schöner die Begegnung mit Gott ist, desto mehr erwarte ich in der Folge Schmerzen. Ich konnte nicht spüren, dass Gott mir beisteht und mich hindurch trägt. Stattdessen sehe ich immer ein höhnisch grinsendes Gesicht vor mir, das ich unweigerlich Gott zuordne, das aber eigentlich von den schlechten Erfahrungen mit meinem leiblichen Vater kommt.

Dieses Beispiel zeigt, wie das Bild, das wir von unserem Vater haben, maßgeblichen Einfluss auf das hat, wie wir Gott sehen. So wichtig wie die Mutter für das Kind, ist auch der Vater und das Bild, das wir von ihm haben.

Im Buch Nahe am Vaterherz von Ed Piorek ist von vier Zerrbildern von Vätern die Rede, auf die wir im folgenden noch näher eingehen. 

1. Der leistungsorientierte Vater

Er macht seine Liebe von der Leistung seines Kindes abhängig. Annahme, Bestätigung und Zuneigung sind an gutes Verhalten und erfolgreiche Leistungen geknüpft. Die geforderte Leistung kann sich auf alle Lebensbereiche erstrecken. Schule, Lernen, Freizeit, Ernährung, Kleidung, Aussehen, Berufswahl, Frömmigkeit; überall geht es um Leistung. Das Kind muss eine bestimmte Leistung erbringen, um die Anerkennung des Vaters zu gewinnen. Liebe und Annahme werden an Bedingungen geknüpft: Tu, was ich dir sage, dann werde ich dich lieben! Auf diese Weise wachsen Kinder mit der Angst vor Versagen auf. Versagen wird dann oft gleichgesetzt mit dem Verlust der Beziehung zum Vater. Was für den einen sehr schlimm sein kann, für den anderen weniger, je nachdem, wie die Beziehung zum Vater ist.

Alle eure Dinge lasst in der Liebe geschehen!
Die BIBEL, 1. Korinther 16,14

2. Der passive Vater

Er zeigt seine Liebe nie so, dass das Kind sie spüren kann. Er drückt seine Zuneigung weder durch Berührungen noch durch Worte aus. Deshalb fehlt dem Kind in seiner Entwicklung die emotionale Nahrung, die jedoch grundlegend ist für eine gesunde Entwicklung. Eines der Hauptprobleme, die ein passiver Vater bei seinem Kind verursacht, ist das Gefühl des Verlassenseins. Das wiederum kann bei Kindern soweit gehen, dass es ein falsches Schuldgefühl hervorruft, indem sie sich selbst die Schuld dafür geben und glauben, dass sie etwas getan haben, was ihren Vater dazu gebracht hat, sich von ihnen fernzuhalten. Oft zieht sich so ein Gefühl durch das ganze Leben. Immer, wenn etwas schief läuft, fühlt sich so ein Mensch schuldig und von vornherein abgewertet. Ein Mann berichtet von seinem Vater, der wegen der Dominanz der Mutter überhaupt nicht in Erscheinung trat. Dennoch fühlte er sich immer für alles verantwortlich und schuldig. Auch bei Dingen, die er gar nicht zu verantworten hatte. Es war ein mühevoller Prozess, bis dieser Mann schließlich lernen konnte, Gott als den zu erfahren, der ihn liebt, ihm hilft und ihn auch heilt.

Lasst uns lieben, denn er hat uns zuerst geliebt.
Die BIBEL, 1. Johannes 4,19

3. Der strafende Vater

Er fügt seinem Kind Schmerz zu, statt es zu lieben. Das kann verbal oder körperlich geschehen. Böse Worte können genauso zerstören, wie sexueller Missbrauch. Solches Verhalten eines Vaters kann einem heranwachsenden Menschen jedes auch nur ansatzweise vorhandene gesunde Vaterbild zerstören. Menschen, die so etwas in ihrer Kindheit erleben, sind später oft geprägt durch Furcht, Scham und Wut, alles starke emotionale Hindernisse, die oft sowohl auf unsere menschlichen Beziehungen, wie auch auf Gott übertragen werden.

Rettung bringt auch hier die zarte und behutsame Liebe Gottes, die allein dazu imstande ist, ihr Leben wieder aufzurichten.

4. Der eigentlich ganz gute Vater

Die meisten Väter haben positive Eigenschaften, gemischt mit weniger positiven. Deshalb hat jeder Vater die Aufgabe, bei seinen Kindern die Sehnsucht nach einem Mehr zu wecken, einem Mehr an Liebe, Barmherzigkeit, Verständnis und Zeit, was wir als Eltern oft nicht imstande sind zu geben. Denn so wie die Erde nur ein Schatten der himmlischen Herrlichkeit ist, so können auch die besten Eltern nur ein Schatten der göttlichen Liebe sein. Deshalb sollte ein Mensch in seiner Kindheit aus dem Wesen seines irdischen Vaters heraus nach und nach das Wesen Gottes für sich und sein Leben erkennen.

Erziehung ist keine Lehre, sondern ein Beispiel.
Peter Rosegger (18431918), österreichischer Erzähler

Jedes heranwachsende Kind hat verschiedene Entwicklungsaufgaben zu bewältigen; es muss Vertrauen entwickeln, sein Leben bejahen, sich selbst entdecken, beziehungsfähig und eigenständig werden uvm. Viele dieser Fähigkeiten liest ein Kind im Laufe seiner Entwicklung von seinen Eltern ab und eignet sie sich an. 

Wo das allerdings nicht möglich ist, muss ein Mensch sich auf die Suche machen und es sich anderweitig holen. Deshalb sagt die BibelSuchet, und ihr werdet finden! In unserer Zeit gibt es sehr viele gute Quellen, die wir nutzen können, um in unserer Entwicklung wie auch in unserer Selbsterkenntnis voran zu kommen. Die beste Quelle ist jedoch immer ein Leben mit Gott und Jesus Christus. Er trägt und führt uns durch dieses Leben, wenn wir ihm vertrauen. Dieser Weg mit Gott ist für uns alle der eigentlich heilsame Weg, den jeder von uns gehen kann und auch

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