01.10.2015

Christliche Pädagogik und Kindererziehung – Was können wir darunter verstehen?

Noch in der Reformationszeit galt der Grundsatz: Gott wird nur dann in der christlichen Gemeinde der Gläubigen geehrt, wenn er auch in der Familie geehrt wird. Das Amt des Familienvaters zählte in dieser Zeit zu den von der Kirche anerkannten Ämtern. Aufbauend auf diesem Grundsatz folgten die pädagogischen Konzepte eines Johann Amos Comenius (1592 - 1670), August Hermann Francke (1663 - 1727), bis hin zu Johann Heinrich Pestalozzi (1746 - 1827), dem es gelang, christliches Erziehungsdenken im großen Stil bekannt zu machen. Pestalozzi vertrat den Gedanken der Volkserziehung und entwickelte eine umfassende Erziehungslehre, in deren Mitte der Glaube an Gott stand. Seine Lehre umfasste Familie, Beruf und Staat. Alle diese hervorragenden Pädagogen dachten letztlich vom christlichen Menschenbild aus, wie wir es bis heute in der Bibel finden. Ihr theoretischer und praktischer Einsatz für die Pädagogik ihrer Zeit war nur deshalb erfolgreich, weil sich dieses biblische Menschenbild als tragfähig erwies. Doch dieses eigenständige, christliche Erziehungsdenken hörte Ende des 19. Jahrhunderts auf, als der Staat das Bildungsmonopol übernahm und der Erziehung in der Familie immer weniger Bedeutung zugemessen wurde.

Ein Irrtum und seine Folgen

Was nun folgte, war eine Symbiose von gesellschaftspolitischen Moralvorstellungen und christlicher Werterziehung. Gesellschaftspolitische Vorgaben wie Gehorsam, Fleiß, Pflichterfüllung, Kontrolle, Unterordnung, Autorität und Respekt wurden vom staatlichen Bildungswesen übernommen. Die christliche Begründung wurde von den staatlichen Stellen zwar nach wie vor benutzt, jedoch abgekoppelt vom lebendigen christlichen Glauben. Das konnte auf die Dauer nicht gut gehen. Denn christliche Erziehung ist immer an einen verbindlichen und lebendigen Glauben an den Gott der Bibel geknüpft. Wo das nicht der Fall ist, können die damit verbundenen Werte von Verführern ausgenutzt werden und sich ins Gegenteil wenden. Genau das war in der europäischen Geschichte der Fall, in der die Katastrophe der beiden Weltkriege und insbesondere die Werbemaschinerie der Nazidiktatur aus den christlichen Werten letztlich das machte, was wir heute kennen. Jetzt bekamen die zuvor positiv besetzten Werte wie Autorität, Respekt, Konsequenz,  Ausdauer und Pflichterfüllung plötzlich einen völlig neuen, negativen Beigeschmack, der bis heute mitschwingt, wenn von diesen Werten die Rede ist. Darin liegt auch einer der Gründe, warum noch lange nach 1950 keine neue Theorie christlicher Erziehung mehr entwickelt worden ist.

Ich glaube an Christus, so wie ich glaube, dass die Sonne aufgegangen ist - nicht nur, weil ich sie sehe, sondern weil ich durch sie alles andere sehen kann.
C. S. Lewis (1898 - 1963), englischer Literatur-Professor und Schriftsteller

Die schrecklichen Geschehnisse der beiden Weltkriege und die darauf folgenden gesellschaftlichen Veränderungen haben auch hier alles auf den Kopf gestellt. Was den Menschen bis dahin wichtig war, ihren Erfolg und ihre kulturellen Höchstleistungen hervorbrachte und sicherte, konnte nach der Katastrophe der beiden Weltkriege im deutschen Sprachraum so nicht weitergedacht und -geschrieben werden. Darin liegt eine der größten und weitreichendsten Folgen dieser Ereignisse. Von nun an ging es darum, alles zweimal zu hinterfragen, was vorher noch so selbstverständlich war.

Die 68er Bewegung und ihre Verirrungen

Dann kam die 68er Bewegung und mit ihr die Formen von Pädagogik und Erziehung, die wir vereinfacht als antiautoritäre Erziehung im kollektiven Gedächtnis tragen. Diese Erziehungsmodelle, von denen einige wie neue Heilslehren verkündet wurden, standen nun entgültig im Widerspruch zu den Modellen christlicher Erziehung. Letztendlich waren aber auch sie nur eine Reaktion auf die vorangegangenen geschichtlichen Ereignisse. Bedauerlicherweise hatten Christen zu dieser Zeit selbst keine Alternative mehr anzubieten, weil mehr als ein Jahrhundert lang keine christliche Pädagogik mehr weiterentwickelt wurde. Auch fehlte es in der Pädagogik an großen Persönlichkeiten, wie es sie noch vor den Kriegen gab. Viele der pädagogischen Ideen der 68er Generation wurden im Laufe der kommenden Jahre zwar als grandiose Fehleinschätzungen und kapitale Irrtümer erkannt und auch korrigiert, doch fehlt die wirklich ernst zu nehmende Alternative in den staatlichen Erziehungsmodellen bis heute. Denn das staatliche Bildungsmonopol hat die Ideen der 68er Bewegung teilweise nicht nur übernommen, sondern sie sogar in Gesetze gegossen, die Schulen oft wie Fesseln empfinden, während Lehrer sich bis heute damit herumschlagen müssen. 

Die Bibel ist ein Fenster in dieser engen Welt, durch das wir in die Ewigkeit zu schauen vermögen.
Timothy Dwight (1752 - 1817), amerika­nischer Politiker, Gelehrter und Dichter

Was das in der Praxis bedeutet, sehen wir daran, dass es genügend Schulklassen im staatlichen System gibt, die von einzelnen Schülern beherrscht werden, die nichts anderes im Sinn haben, als alle anderen zu stören. Eltern- und Schulräte zerbrechen sich oft stundenlang den Kopf darüber, wie sie damit umgehen sollen, ohne etwas daran zu ändern, weil das Gesetz es gar nicht zulässt, gleichzeitig aber auch keine Hilfen anbietet.

Migrantenkinder

Nun kommt hinzu, dass das staatliche Schulsystem in Deutschland, Österreich und auch in Südtirol sich schon seit Jahren mit zahlreichen Migrantenkindern konfrontiert sieht, die oft nicht einmal die Unterrichtssprache beherrschen. Unter dem Schlagwort Integration wurden vielfach Kinder mit Migra­tionshintergrund viel zu früh in die Schulklassen integriert, statt ihnen zunächst einmal die notwendigen grundlegenden Deutschkenntnisse zu vermitteln. Die Folge waren überforderte Lehrer und an vielen Schulen eine Überlastung des Schulsystems durch Problemklassen.

Was wird die Antwort auf diese Probleme sein?

Die Antwort auf diese Entwicklung scheint eigentlich nur die Zwei-Klassen-Schule zu sein, bei der Familien, die es sich leisten können, ihre Kinder wieder auf eine Privatschule schicken, während Kinder, deren Eltern es sich nicht leisten können, gezwungen sein werden, in einem immer schlechter funktionierenden staatlichen Schulsystem zu verbleiben. Dieser Trend ist bereits in vollem Gange und wird sich weiter fortsetzen. Doch diesmal gibt es die christliche Alternative, zumindest vielerorts in Deutschland und früher oder später sicher auch in Südtirol.

Den Herrn ernst nehmen ist der Anfang aller Erkenntnis. Wer ihn missachtet, verachtet auch Weisheit und Lebensklugheit.
DIE BIBEL, Spr. 1,7

Die neue christliche Schulbewegung

Bereits in den 1970er Jahren haben sich evangelikale Christen in Deutschland zusammengetan und damit begonnen, christliche Schulen zu gründen. Deshalb gibt es heute in vielen Städten Deutschlands christliche Schulen, die staatlich anerkannt von Christen geführt werden und sich vor Zulauf inzwischen kaum noch retten können. Das zeigt, wie dringend dieser Neuanfang war; andererseits deckt es die Mängel der staatlichen Schulen auf, die vor allem vor dem Hintergrund der neuen Flüchtlingswelle, nur noch gravierender werden.

Wende im pädagogischen Denken der Christen

Als Familien und deshalb Betroffene, können wir froh sein, dass entschiedene Christen schon vor einigen Jahrzehnten erkannten, dass Kritik am staatlichen Schulsystem und pädagogischen Fehlentwicklungen nur wenig bringt und sich deshalb aufmachten, eine echte Alternative ins Leben zu rufen, die inzwischen bereits als Anker und Vorbild dasteht. Jetzt gilt es, von diesen Modellen christlicher Bekenntnisschulen zu lernen, sie weiterzuentwickeln und als Alternative zum staatlichen Schulsystem auch zu nutzen, wo immer das möglich ist. Wir dürfen auch nicht vergessen, dass Eltern- und Familienkompetenz nicht nur darin besteht, Leben weiterzugeben. Es gilt auch, Kinder in einem heutigen Verständnis christlich zu erziehen. Erst wenn das wieder selbstverständlich geworden ist, werden wir von einem neuen Aufbruch in der christlichen Erziehung sprechen können.

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